Esskultur für Menschen mit Demenz

„Esskultur für Menschen mit Demenz - mehr Lebensqualität im Alter"

Modellprojekt im MARTINEUM erfolgreich abgeschlossen

Schluckstörungen, Appetitlosigkeit und Nahrungsverweigerung gehören zu den folgeschweren Begleiterscheinungen demenzieller Erkrankung, die nicht selten in Form von Mangelernährung und Flüssigkeitsdefiziten bis hin zur Gewichtsabnahme ihren Ausdruck finden.

Das in Essen-Steele gelegene Ev. Seniorenzentrum „Martineum" entwickelte gemeinsam mit dem Schweizer Gerontologen und Küchenchef Markus Biedermann ein Projekt, innerhalb dessen verschiedene Wege untersucht werden sollten, den Ernährungsproblemen von Menschen mit Demenz entgegenzutreten. Das Projekt ist Modellprojekt der Landesinitiative Demenz-Service NRW, gefördert von der Stiftung Wohlfahrtspflege.

Im Resultat zeigt sich, dass der Ernährungszustand von Menschen mit Demenz durchaus beeinflussbar ist. Die Berücksichtigung der Essbiographie, das Eingehen auf individuelle Gewohnheiten, die Wertschätzung in der Darbietung der Speisen und das Milieu spielen hierbei eine wichtige Rolle. Aber auch die Qualität und Art der Zubereitung der Kostformen und Getränke sind eine wichtige Einflussgröße für die Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit.

Bestätigt haben sich Vermutungen, dass nicht zuletzt die Gestaltung des Umfeldes (vertraut, beruhigend, ansprechend), die Art, miteinander umzugehen (wertschätzend, einfühlend, zugewandt) und das Zeitfenster (flexibel, ausreichend bemessen) dazu beitragen, Essen und Trinken mit Freude zu genießen. Für kulinarische Streifzüge wie „Erdbeerzeit", „Spargelwoche", „Weinprobe" bis hin zu „Essen bei Kerzenschein" sind auch Menschen mit Demenz empfänglich.

Im Detail wurden im Projekt verschiedene Ansätze verfolgt: Die Küche lieferte keinen fertigen Speiseplan, sondern erfasste die Menüwünsche im Gespräch mit den Bewohnern. Der mit frischem Gemüse und Gewürzen, Küchengerät und Bildern bestückte Menüwagen war hierbei wichtiges Instrument für Anknüpfung an frühere Lieblingsgerichte oder Fachsimpeln über Zubereitung von Speisen. In der „Schnippelgruppe" konnten die Bewohner aktiv werden und ihre Motorik üben. Wer Gemüse oder Obst und ein Messer in die Hand bekam, „wusste", was er zu tun hatte, auch wenn ihm längst die Worte fehlten, das Tun zu beschreiben.

Bewohner, die das Besteck nicht mehr koordiniert einsetzen konnten, erhielten die Speisen in Form mundgerechter Häppchen und waren darüber in der Lage, weiterhin - wenn auch mit den Fingern (fingerfood) - selbständig zu essen. Motorisch unruhigen Bewohnern wurden die kleinen Häppchen in die Laufzone gestellt (eat by walking). Die Umstellung vom Tablett- auf das Schöpfsystem ermöglichte Menüwahl im letzten Augenblick. Die Köche und ihre Mitarbeiter übernahmen die Portionierung der Speisen vor Ort.

Seitens der Küche wurde dafür gesorgt, dass die Speisen, frisch und schonend zubereitet, appetitlich und gehaltvoll den Bewohner erreichten. Mit Erfolg. Die Bewohner aßen zunehmend besser. Sie befanden sich zu keiner Zeit in der Nähe eines kritischen Ernährungszustandes.

Ganz entscheidend für den Projekterfolg war sicher auch das über zahlreiche Schulungen entwickelte gemeinsame Aufgabenverständnis. Unter den Mitarbeitern hat sich ein ganz erheblicher Einstellungswandel vollzogen, der auch an den Schnittstellen zwischen Pflege und Betreuung, Küche und Hauswirtschaft deutlich wurde: die Küche ist heute gleichberechtigter Leistungsträger und in Aktivitäten der Pflege-Wohngruppen einbezogen.

Die Bewohner haben von dem Projekt profitiert, die Mitarbeiter auch. Auch die Einrichtung. Mit dem „Frankfurter Preis" und dem „Küche Aktiv Preis 2005" (2. Platz) wurden zwei Auszeichnungen für innovative Verpflegungskonzepte entgegengenommen, die zu weiteren Aktivitäten anspornen.

Siehe auch:

3sat
Heimitwirkung.de